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Wie kam es zur kretischen Schule? Wie konnte sich dieser Malstil bilden?

Kaiser Konstantin I.Ich möchte Sie noch ein wenig weiter strapazieren mit Namen und Jahreszahlen. Dabei hoffe ich, es auch denen anschaulich vorlegen zu können, die wie ich selbst, Zahlen und Namen eigentlich nur sehr schwer erfassen können. Darum eine sehr grobe Zusammenfassung, welche uns jedoch gut als Gerüst und Geländer dienen kann, um uns in dieses Thema weiter hinein zu fühlen.

  • Man stelle sich vor, dass Kaiser Konstantin I. bei seinem Amtsantritt 324 das Christentum legalisierte.
  • 324 Jahre lang zuvor wurden alle Menschen verfolgt, die nach dem christlichen Glauben leben wollten!

Kaiser Theodosius Kaiser Theodosios regierte etwas später, im selben Jahrhundert (379 bis 337) und sah sich gezwungen, das große, unüberschaubare römische Reich unter seinen Söhnen aufzuteilen. Honorius bekam den westlichen Teil mit Rom als Zentrum, Arcadius übernahm das Ostreich mit der Hauptstadt Konstantinopolis. Erst diesem Kaiser gelang es, dem christlichen Glauben eine eigene Kunststruktur zu geben. Ab nun ist auch das Christusbild festgelegttypisches Christusbild: Lange, hellbraune Haare, welche gebunden über die eine Schulter auf den Rücken fallen, in Frontalansicht ein schmales Gesicht mit einer langen Nase und ein dünner Bart.

 

Kaiser Justinian Über einhundert Jahre später (527) regierte Kaiser Julianos das byzantinische Reich. Er mußte sehr gläubig gewesen sein, denn er steckte unendliche Mittel in den Bau von vielen, teils sehr großen Kirchen. In nur zwei Jahren errichtete er die Agia Sophia in Konstantinopel. Das berühmte Katherinenkloster im Sinai geht ebenfalls auf seine Rechnung. Dieses Kloster wurde (und wird!) seither von Beduinen moslemischen Glaubens vor Überfällen beschützt. Trotz seiner dicken Mauern ist diese Klosteranlage inmitten der Wüste unter fremdgläubigen Gruppen eigentlich sehr gefährdet, doch eine kluge Klosterpolitik unterstützte seither die Beduinen und kann sich bis heute auf deren Loyalität verlassen.

Bis hierher wird die Byzantinische Zeit als „frühbyzantinisch“ bezeichnet und es sind nur sehr wenige Ikonen erhalten, die sich fast alle im Katherinenkloster im Sinai befinden.

Kaiser Leo III Die mittelbyzantinische Zeit beginnt mit dem wüsten Kaiser Leo III (Münze links). Ihm waren die Ikonen und die ihr dargebrachte Verehrung ein Dorn im Auge. Außerdem mögen handelspolitische Gründe zu den nahen moslemischen Völkern eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls wollte er, und nur er verehrt werden, wie es einem Kaiser gebührt: mit Kaiserbildern, vor welchen sich die Untergebenen  niederzuwerfen hatten, als stünde der Kaiser höchstpersönlich vor ihnen. Eine Ikone bedeutete Machteinbuße undTheodora II und Sohn Michael III ließ den eitlen König nicht ruhen, bis er 726 das Ikonenverbot aussprach. Vielleicht hatte damals der Ikonenkult auch übermäßige Blüten getragen, sodass auch einige Bischöfe daran Anstoß fanden (als Symbol des Christentums bevorzugte Kaiser Leo III. das Kreuz, und so haben wir die Verbreitung des Kreuzes wohl ihm zu verdanken). Das Ikonenverbot dauerte 117 Jahre, bis es 843 durch das beherzte Einschreiten einer Frau namens Theodora (zu deutsch: Gottesgeschenk) angefochten und mit neuen theologischen Begründungen wieder aufgehoben wurde. Sie war die Frau des byzantinischen Kaisers Theophilos (829–842) und stellvertretende Kaiserin für ihren minderjährigen Sohn Michael III. (Münze rechts)

Daraufhin erlebte die Ikonenmalerei eine Renaissance, nämlich die Makedonische Epoche (967 bis 1056). Kleine Anmerkung: erst jetzt begann Russland (988) seine ersten Ikonen anfertigen zu lassen!

Unter den Kaisern der Komnenen (1081 bis 1185) wurden ebenfalls schöne Ikonen in Auftrag gegeben.

Leider gerieten lateinische Kreuzfahrer im Jahre 1204 außer Kontrolle und eroberten plündernd Konstantinopel, anstatt sich auf den moslemischen Osten zu stürzen, wie es ursprünglich der Plan war. Doch bereits in Venedig ging ihnen das Geld aus. Die Dogen und andere Kaufleute wurden um Hilfe gebeten. Auf den eigenen Vorteil bedacht, versprachen diese ihre Unterstützung unter einer Bedingung: Ein Abstecher nach Konstantinopel zu den Glaubensbrüdern! Damit war leider keine Verabredung zum theologischen Plausch bei Keksen und Kaffee gemeint, sondern ein eiskalter Übergriff zum Zwecke der Plünderung und Ausraubung der Schätze in Kirchen, Klöstern und Privathäusern. Die Skrupel der Kreuzfahrer, gegen ihre eigenen Glaubensbrüder kriegerisch vorzugehen wurden vom Papst schnell entkräftet: Häretiker seinen die Byzantiner, weil sie den Papst als obersten Kirchenführer nicht anerkannten. Mit dieser grausamen Übernahme endete die mittelbyzantinsche Zeit.
EroberungJerusalems Detail
Im Laufe der 60jährigen Besetzung durch die Römer hatten deren westliche Einflüsse die strenge byzantinische Malerei durchsetzt. Die neuen, römischen Auftraggeber bereicherten jedoch die Ikonenmalerei, indem sie ihre eigenen Ikonenmaler mitbrachten, welche sich mit den alteingesessenen Meistern austauschten. Einige konstantinopolische Malermeister flohen jedoch vor den Kreuzfahrern bis nach Kreta. Andere wurden von Venedig dorthin umgesiedelt, denn Kreta wurde damals den Venezianern versprochen. So kamen die ersten, guten Maler nach Kreta, und wir unserem Thema der kretischen Schule ein wenig näher.

Ab 1204 begann sich die Ikonenmalerei auf Kreta also zu verfeinern. War Kreta vorher eine ziemlich abseits gelegene Insel von bestenfalls strategischer Bedeutung, breiteten sich jetzt exzellente Ikonenmaler aus Konstantinopel und Venedig, von Heraklion ausgehend (später über die ganze Insel) aus. Politisch nun den Venezianern zugesprochen, kümmerten sich diese aber zunächst nicht um die Insel, weshalb die schnellen Genuesen mit Absicht der Eroberung Kretas anlanden konnten und in einer 5jährigen Schlacht mit den Venezianern wieder vertrieben werden mussten, aber dies sei nur der Vollständigkeit halber am Rande erwähnt.

Michael VIII Paläologos Die spätbyzantinische Zeit beginnt mit dem Kaiser Michael Paläologos VIII, welcher Konstantinopel im Jahre 1261 zurückerobern konnte. Die Ikonenmalerei entwickelte sich erneut weiter, denn: ein neuer Herrscher bedeutete auch die Förderung eines neuen Malstils, um sich von seinem Vorgänger besser abzusetzen.
Oder anders ausgedrückt: neue Herren, neue Auftraggeber – der westliche Malstil der Venezianer (unter ihnen auch fränkische Einflüsse) und der östliche Malstil der Griechen vermengten sich. Es entstanden, je nach Gewichtung und Umsetzung dieser Einflüsse auf  Kreta folgende Schulen:

  • Die italo-griechische Schule
  • Die veneto-kretische Schule
  • Die italo-kretische Schule (alle ab 1204)
  • Die italo-byzantinische bzw. die italo-griechische Schule (14. bis 15. Jhd.)
  • Die italo-kretische oder Kretische Schule (Blütezeit 16. Jhd. bis 17. Jhd.)

Wesentlich für die kretische Schule ist ihre Entwicklung; die günstigen Verflechtungen unterschiedlicher Malstile, wobei man dem fremden, westlichen Einflüssen in sofern offen gegenüber stand, indem man sich die neuen, attraktiven Detail herauspickte, jedoch ohne ihnen zu viel Gewicht zu geben, noch sie zu verfeinern. Im Gegenteil, die neuen, westlichen Elemente machten nur dann Sinn, wenn man sie vereinfachte, und trotzdem damit die neuen Auftraggeber beeindrucken konnte. So bewahrte die kretische Schule eine asketische Strenge und die Reduktion auf das Wesentliche, und blieb der orthodoxen, theologischen Umsetzung sehr eng verbunden.

Fall Konstantinopels

Konstantin XIDie spätbyzantinische Zeit endet 1543 mit der Eroberung Konstantinopels durch die moslemischen Türken (Abb. links: Kaiser Konstantin XI, letzter byzantinischer Kaiser). Unter moslemischer Herrschaft wurden Christen weiterhin geduldet, doch wurden sie höher besteuert.
Die Meister-Ikonen-Malerwerkstätten flüchteten. Sehr viele von ihnen begaben sich nach Kreta, das zwar von Venezianern besetzt war, diese sich aber zu diesem Zeitpunkt dort nicht besonders einbrachten.
Und jetzt geschah etwas Unglaubliches: Alle Hoffnungen, Byzanz neu zu erschaffen, richteten sich nun auf Kreta, welches weitab vom türkischen Einfluss (zwar unter der Obrigkeit der Venezianer, die dieses Vorhaben aber nicht behinderten) sein Auskommen hatte. Nun waren auch die letzten Ikonenmaler aus dem besetzten Konstantinopel vor den Türken nach Kreta geflüchtet und bewahrten dort das byzantinische Erbe. Bis 1669 sollte Kreta noch von den Zwängen der Türkenherrschaft verschont bleiben, bevor auch Kreta unter die Herrschaft der Moslems fiel.

Kretakarte von Johnston 1861
Kreta als drittes Byzanz blieb eine Illusion, aber es kam dort erneut zu einer sehr großen Nachfrage nach Ikonen, da durch die Eroberungen und Plünderungen im untergegangenen byzantinischen Reich vieles zerstört worden war. So entstanden auf Kreta innerhalb kurzer Zeit große Ikonen-Werkstätten. Meister bildeten Schüler aus, alles musste schnell gehen, Konkurrenz belebte das Geschäft, die Preise sanken oder mussten sich durch aufwendige Malerei rechtfertigen. Es bilden sich regelrechte Ikonen-Verbände, wo fest organisiert eine Werkstatt die Tafeln anfertigte, diese in ein anderes Dorf sendeten, wo sie grundiert wurden, und dann die grundierten Tafeln an Klöster und Werkstätten verteilt wurden, wo sie in weiterer Arbeitsteilung zu Ikonen bemalt wurden. Man stelle sich das ähnlich der europäischen Airbus Fertigung im kleineren Rahmen vor. Alles musste zusammenpassen, die Farben, der Malstil, der Goldgrund und die Tafeln. Wohl auch aus diesem Grund (so ist meine Vermutung) wurde auf das Wesentliche reduziert, das Zeit sparte und auch von nicht so talentierten Malern zuverlässig ausgeführt werden konnte. Dem Meister verblieben die letzten Pinselstriche und das Inkarnat - jene Hautpartien mit ihrem typischen, der Welt entrückten Gesichtsausdruck.

Ikonen im kretischen Stil wurden 200 Jahre lang über das Mittelmeer in die ehemaligen byzantinischen Staaten geschickt und verbreiteten sich immer mehr. All dies hat vermutlich dazu beigetragen, dass sich die Kretische Schule so ausgezeichnet etablieren konnte und ihre Merkmale so treffsicher zu benennen sind.

Erst im Jahre 1669 gelang es den moslemischen Türken auch die Insel Kreta zu erobern. Die blühenden Zeiten unter der Venezianer Herrschaft wurden schlagartig beendet. Konnten sich die Kreter in der Vergangenheit oft erstaunlich gut mit ihren Besetzern arrangieren, so stellte sich dies mit den Türken ungleich schwieriger dar. Die Klöster wurden zu Zentren des Widerstandes. Der Tapferkeit ihrer Mönche und Nonnen ist es zu verdanken, dass viele Ikonen aus dieser Zeit vor der Zerstörung gerettet werden konnten. Vieles wurde jedoch unwiderruflich zerstört. Besonders schlimm traf es die Wandmalereien kleiner Kapellen. Ihre Zahl muss riesig gewesen sein, denn heute trifft man auf Kreta immer wieder auf unversehrte, oder nur teilweise zerstörte Wandbilder. Der kretische Widerstand gegen die Türken war unerbittlich, und weil gerade die Kirche mit ihren Klöstern diesen Widerstand mit allen Mitteln unterstützte, ist sie bis heute hoch geschätzt.

Nazarensicher Malstil220 Jahre später wurden die Türken im Jahr 1889 besiegt. Die griechisch orthodoxe Kirche begann, die Schäden instand zu setzen. Dabei erhielt sie große Unterstützung seitens der Bevölkerung. Doch jetzt wollte niemand mehr die auf das Wesentliche reduzierten, asketischen Heiligen der kretischen Schule anschauen. Die geknechtete, verarmte und Hunger leidende Bevölkerung sehnte sich nach etwas Wohlstand. Daraus entwickelte sich ein neuer Malstil. Die Heiligen wurden in westlicher Manier runder, wohlgenährter und drückten plötzlich menschliche Milde und Wohlgefallen aus. Ideale, nach denen sich das Volk sehnte, prägten den so genannten Nazarensischen Malstil. Hier finden sich noch byzantinische Modelle und Bildaufbau, aber der goldene Hintergrund ist dunkler Farbe gewichen. Elemente theologischem Inhalts wurden ausgetauscht. So sitzt Maria Mutter Gottes bei der Verkündigung beispielsweise nicht mehr auf einem kostbarem Thron, sondern ein typisch kretischer Holzstuhl erfüllt jetzt diesen Zweck. Sie spinnt auch nicht mehr am Tempelvorhang, sondern ein aufgeschlagenes Buch deutet auf ihre Aktivität hin, kurz bevor ihr der Verkündigungsengel erschien. Anstelle des Botenstabes, der den Engel als einen von Gott Gesandten auswies, trägt dieser jetzt eine Lilienblüte in seiner Hand - womit die Reinheit Mariens beschrieben werden soll. Jene Reinheit, die doch von alters her schon ihre drei Sterne auf ihrem (jetzt leider allzu roten) Gewand bezeugen.
Beim Betrachten Nazarensischer Ikonen können wir uns nicht mehr in eine Welt der Spiritualität und göttlicher Gesetzmäßigkeit entrückt fühlen, sondern im Gegenteil: Ikonen zeigen reale Räume, wie wir sie alle bereits kennen. Und schauen Sie: Maria betet in westlicher Manier mit vor der Brust verschränkten Händen, anstelle der ausgebreiteten Arme. Theologisch, das muss gesagt sein, haben Ikonen im Nazarensischen Stil viel von ihrem bedeutungsvollem Inhalt verloren.

Heute, im 21. Jhd. besinnen sich die Kreter wieder auf ihre berühmte kretische Schule. Die alten Ikonen werden studiert und wieder kopiert und auf diese Weise weiterhin durch die Zeit getragen und damit ihr theologisch-spiritueller Wert wieder hervorgehoben. Doch es bleibt ein Phänomen der Zeit: Obwohl viele Priester um die nachträgliche Einfügung der Lilie bei der Verkündigung wissen (ein Element, welches nicht in der Heiligen Schrift erwähnt wurde und daher auch nicht auf Ikonen platziert werden sollte), können sie kaum mehr darauf verzichten, denn würde es fehlen, würden die mittlerweile an die Lilie gewöhnten Gläubigen diese vermissen und sich beschweren. Ja - denken Sie jetzt vielleicht, da könnte der Priester doch aufklären! Aber wie viel Liebe steckt hinter einem Priester, der erkannt hat, dass ein jeder nur sich selbst berichtigen kann und seinen Gegenüber von Kritik verschont?! Denn Kritik (so verstehe ich es) ist die Abwesenheit von bedingungsloser Liebe - jene welche uns Christus vorgelebt hat.

Dies war eine vertiefende Betrachtung:

 

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