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3. Können Heilige für evangelische Christen eine Bedeutung haben?
Überlegungen für die Gegenwart.

Auf die unterschiedliche Bedeutung der Heiligen zwischen katholischer und orthodoxer Heiligenverehrung, kann ich hier nicht eingehen. „Die Heiligenverehrung in der Römischen Kirche ist (expressis verbis seit dem Konzil von Trient) für die Gläubigen freigestellt, in allen Ostkirchen (der orthodoxen, der altorientalischen und der assyrischen) dagegen nicht.“24
Heilige sind Christo nachgefolgt. Sie sind nicht sündlos, wohl aber „daß sie im Sinne von 2 Petr 1,4 ´Teilnehmer an der Göttlichen Natur` und im Sinne von 1 Kor 6,19 ´Tempel des Heiligen Geistes` seien.“
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Heilige werden auch in der orthodoxen Kirche nicht angebetet, sondern dem auf die heiligen Gaben und ihre Empfänger hinweisenden Ruf des Priesters: „Das Heilige den Heiligen“ antwortet die Gemeinde mit dem Bekenntnis: „Einer ist heilig, einer der Herr, Jesus Christus….“ Heilige haben, wie wir alle als nach dem Bild Gottes geschaffenen Menschen, die Möglichkeit, in der Nachfolge Christi an der Heiligkeit Gottes zu partizipieren und zu seinem „heiligen Volk“ zu gehören (1 Petr 2,9, vgl. Röm 1,7; 1 Kor 1,2).

Die Frage, ob Heilige für evangelische Christen eine Bedeutung haben können, kann nur bejaht werden. Natürlich können sie. Wir glauben an die „Gemeinschaft der Heiligen“. Als die Glieder einer Gemeinschaft, die ´am Brechen des Brotes und an den Gebeten festhielten (Apg 4,42), verstehen sich die Christen der Urgemeinde als die Heiligen (Röm 1,7; 15,25; 1 Kor 1,2). Der Apostel Paulus erinnert uns daran, Nachahmer der Nachfolger Christi zu sein: „Deshalb ermahne ich euch, meine Nachahmer zu sein, so wie ich ein Nachfolger Christi bin“ (1 Kor 4,16).

Es ist gut, Vorbilder des Glaubens zu haben und deren Biographie zu kennen. Immer mehr Menschen entdecken die Kraft der Wüstenväter und die Erfahrung, dass das Wesentliche in der Gegenwart Gottes liegt.26
Wir sprechen von Jüngern, Aposteln, Propheten, Kirchenvätern, Märtyrern und Menschen, von denen in besonderer Weise Ströme des lebendigen Geistes ausgingen. Sind es nicht solche Zeugen wie  Ephraim der Syrer, Johannes Klimakus, Dietrich Bonhoeffer, Florence Nightingale, Johann Hinrich Wichern, Caterina von Siena aber auch Seraphim von Sarow, die wie Leuchttürme das Meer überragten und Menschen durch ihr Lebensbeispiel Mut und Hoffnung gaben? Ja, von Heiligen können wir verschiedenes lernen, denn jeder und jede wurde anders für die Arbeit im „Reich Gottes“ gebraucht.

Vom heiligen Seraphim von Sarow können wir lernen, unsere eigentliche Aufgabe wieder zu entdecken: Dass Jesus Christus jeden Menschen mit seiner Liebe beschenken will. Das Evangelium sollte für unsere Kirche schon an erster Stelle stehen. Dass Gott uns Menschen annimmt. Dies ist nicht als theologische Formel gemeint, sondern meint mich in meiner ganzen Existenz. Seraphim von Sarow bezeugt diese Botschaft in besonderer Weise in der Seelsorge. Man kann sogar sagen, dass sich das ganze Leben von Seraphim als Vorbereitung auf die letzten acht Jahre verstehen lässt, in denen er sich völlig der Seelsorge und der geistlichen Fürsorge am Nächsten widmete. Von Seraphim von Sarow können wir lernen, wieder das Zentrum unseres Tuns und Lassens wieder in den Blick zu nehmen. „Nicht umsonst las zum Beispiel der große russische Starez, der heilige Seraphim von Sarov (1754-1833), wöchentlich das ganze Neue Testament.“27

Durch das Beispiel und Vorbild Seraphims werden wir in die mystische Tiefe geführt, denn es geht ihm um nichts anderes als um das Wunder der gnadenhaften inneren Führung. Könnte es sein, dass mehr und mehr Menschen eine tiefe Sehnsucht in sich tragen, die mehr ist als bloße Annahme eines dogmatischen Systems? Könnte es sein, dass mehr und mehr Menschen nach Glaubenserfahrungen suchen, die weniger kognitiv über den Verstand, sondern mehr emotional als Ausdruck innerer Erfahrung erlebbar werden?

Während heute viele Menschen die Sinnerfüllung gleichbedeutend mit Bedürfnisbefriedigung empfinden, müssen wir uns stets neu fragen lassen und uns in Frage stellen: Habe ich in einer auf materiellen Wohlstand und sozialen Status bedachten Gesellschaft noch anders gerichtete, transzendente Ideale und Ziele, die ich für mich selbst benennen und anderen Menschen aufzeigen kann? Was ist die Mitte meines Glaubens, das, „was mich unbedingt angeht“? Mir ist klar, dass ein gewisser Widerspruch zwischen der Aufgabe als Mönch und dem Einsiedlertum besteht. Jene Lebensart der Abgeschiedenheit und  Askese, die Seraphim in besonderer Weise gelebt hat, erscheint uns als fremd, aber sie wurde von Seraphim selbst als absolut sinnvoll und seiner besonderen Geschichte und Berufung als innere Notwendigkeit erachtet. Er war ein Vorbild im Gebetsleben und ein dem Menschen freundlich zugewandter Seelsorger.

Es besteht kein Zweifel: Wir Protestanten finden kaum Zugang zur kath. Heiligenverehrung, die durch die mittelalterliche Kirche entfaltet und zu einem unterscheidenden Merkmal katholischen Glaubens ausgebaut worden ist. Fürbitte, Wundermacht und Reliquien der früher so verehrten „Nothelfer“ und Namenspatrone haben für uns Protestanten keine große Bedeutung. Wenn aber die Heiligen alles aus Christus und nichts ohne ihn sind, könnte dieses Denken nicht dazu beitragen, unsere Bedenken, die ihre verselbstständigte oder neben Christus bestehende „Mittlerschaft“ und Fürbitte betreffen, etwas beiseite zu schieben? Gilt nicht auch hier die biblische Weisung: „Prüft aber alles und das Gute behaltet“ (1 Thess 5,21)?

„Der heutige Zustand der Welt, das ganze Leben ist krank. Wenn ich Arzt wäre und man mich fragte,  was rätst du? – ich würde antworten: Schaffe Schweigen! Bringe die Menschen zum Schweigen. Gottes Wort kann so nicht gehört werden. Und wenn es unter der Anwendung lärmender Mittel geräuschvoll hinausgerufen wird, dass es selbst im Lärm gehört werde, so ist es nicht mehr Gottes Wort. Darum schaffe Schweigen!“ (Sören Kierkegaard)

Autor dieser Seite und mit freundlicher Genehmigung: Pastor Wolfgang Hohensee, Jahrgang 1955,
Gemeindepastor von 1990, seit 1993 in der Bugenhagenkirche in Hamburg-Rönneburg;
Autor verschiedener Bücher; Mitarbeiter im Vorstand des Pastorenvereins der Nordkirche

 

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