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Ikonenbetrachtungen
Die Heilige Liturgie - Η Θεία λειτουργία

Die Heilige LiturgieDie Ikone “Heilige Liturgie” ist eine genaue Abschrift eines zu Beginn des 18. Jahrhunderts (genau: 1704) entstandenen Werkes. Der damalige uns namentlich unbekannte Ikonenmaler malte die Heilige Liturgie nach einer Vorlage des berühmten kretischen Malers Michael Damaskinos, welcher im 16. Jahrhundert gelebt und  dessen Ikone namens “Die Heilige Liturgie” heute in der Sammlung Heilige Aikatherina in Heraklion auf Kreta zu bewundern ist. Dort befindet sich auch die Vorlage zu der hier abgebildeten Ikone, welche ich für eine Privatsammlung malen durfte. Diese Ikone beschreibt die verschiedenen Engelchöre und besteht aus über 60 Gesichtern nebst vielen weiteren Details. Im Folgenden werden Ausschnitte aus dieser Ikone gezeigt und die einzelnen erzählerischen Teile erklärt werden.

Im Zentrum dieser Ikone sehen wir die Agia Triada, die Heilige Dreieinigkeit, auch Heilige Dreifaltigkeit benannt. Sie besteht aus Gott-Vater, Gott-Sohn (hier im Gewand des Hohen Priesters) und Heiliger Geist in Form einer weißen Taube. Letztere ist ein nach-byzantinisches Symbol.Agia Triada der göttlichen Lithurgie

Da der Heiligenschein des Vaters und des Heiligen Geistes auf dieser Ikone räumlich viel näher beieinander stehen, als zu dem des Sohnes, wird hier ein Ausdruck der theologischen Dispute (Ostkirche vs. Westkirche) über die  Dreifaltigkeit seinerzeit vermutet. In der älteren Ikone aus dem 16. Jhd. vom Malermeister Damaskinos berühren sich diese beiden Heiligenscheine sogar, während der des Christus getrennt davon ist, ebenso wie es hier zu sehen ist.

Gott-Vater und Heiliger Geist blicken auf den Sohn, welcher sich den Engeln zuwendet und einen von ihnen segnet. Um die Heilige Dreifaltigkeit herum gruppieren sich zahlreiche Engel. Es sind die Engelchöre, auch unter der “Hierarchie der Engel” benannt.

segnender Christus Die dazugehörigen Engelgruppen sind anhand ihrer unterschiedlichen Bekleidung und diverser Utensilien unterscheidbar, welche sie für die Heilige Messe in den Händen halten (Kerzen, Weihrauchschalen und -ampeln, Medaillions, aufgeschlagene Bücher mit Textzeilen und Kreuze). Die drei Engelchöre (Gewalten, Mächte und Herrschaften) sind auf den Wolken verteilt. Jeder Chor verfügt über drei Untergruppen, welche namentlich gekennzeichnet wurden. Dazu weiter unten mehr.

Adam und Eva Zu Beginn unserer Betrachtung stehen zwei Figuren am untersten Rand der Ikone und außerhalb von den Wolken. Es handelt sich hier um einen Mann und eine Frau, um Adam und Eva. Auf der älteren Damakinos Ikone im 16. Jhd. wurden diese Figuren nicht betitelt, jedoch auf der späteren Abschrift von 1704 tragen sie die Inschriften “Adam” sowie “Eva”. Beide sind in tiefer Anbetung versunken und knien auf einer Sphäre, die unsere Erde, den Kosmos versinnbildlicht, in Angesicht eines tief verwurzelten Baumes. Es bietet sich hier der “Baum der Erkenntnis” als Deutung an.

Engel Zu der ersten Engel-Triade, den so genannten Gewalten zählen die Engel, Erzengel und Archai.
Die Engel stehen dem Menschen am nächsten. Viele nennen sie Schutzengel. Sie gehören, wie alle folgenden Wesenheiten, der Ätherwelt an, sind also geistig und nicht-materiell erfahrbar. Sie begleiten uns durch unser gesamtes Leben und es ist vorstellbar, dass sie mit uns in Bildern (Träume, Tagträume, Visionen) und GedankenmusternErzengel (das berühmte “schlechte Gewissen” oder der plötzliche Einfall, das Erkennen von Zusammenhängen) kommunizieren. Für die Engel wie für die gesamte geistige Welt ist in jedem Fall nur die Wahrheit existent und wesentlich.

Auf dieser Ikone stehen die Erzengel (griechisch: Αρχάγγελοι) den persönlichen (Schutz.-)Engeln gegenüber. Und auf der Erde hat jedes Volk seine eigene Aufgabe und dafür einen eigenen “Volks-Schutzengel” zur Seite gestellt. Das Ziel aller Völker in ihrer Vielfalt wäre demnach, in gegenseitigem Respekt und Harmonie zu leben, um die eigene Aufgabe zum Wohle und Nutzen aller anderen Völker zu erfüllen.

Archai oder FürstenDie dritte Gruppe der ersten Engelshierarchie sind die Archai (griechisch: Αρχές), von Luther mit “Fürsten” übersetzt. Gemeint ist der Urbeginn, der Archetypus. Diese Geistigen Wesen dienen der ganzen Menschheit für jeweils eine Kulturepoche von ca. 2.150 Jahren, auch platonische Weltenmonate genannt. Anhand der zwölf Tierkreiszeichen mit ihrer unterschiedlichen Thematik lassen sich die unterschiedlichen Schwerpunkte und Energien der jeweiligen Epochen erfahrbar machen. Unsere derzeitige Epoche zählt (entgegen einer im Allgemeinen leicht vorschnellen Zuordnung zum Wassermannzeitalter) noch zum Fischezeitalter, welches mit Jesus-Christus begann. Mit dem Christentum begann der einzelne Mensch, sich von Zwängen zu lösen und sich in Freiheit (!) auf die Suche nach Wahrheit und Liebe zu begeben, wie Jesus-Christus uns einst vorgelebt hatte. Gottesdienst ist demnach auch als Dienst an der Wahrheit zu verstehen (Joh. 14,6 “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.”)

GewaltenDer zweite Engelchor, die Mächte sind ebenfalls in drei Untergruppen aufgeteilt und auf der Ikone “Die Heilige Liturgie” unterscheidbar und zu entdecken. Die erste Gruppe, die Exousies (griechisch: Εξουσίες), zu deutsch: die (schaffenden) Gewalten, werden im Hebräischem als die sieben Elohim bezeichnet. Es sind Schöpferwesen, von dem Jehova demzufolge nur einer von sieben gewesen sein kann. Das Alte Testament der Gesetze, Strafen und eines an vielen Stellen grausamen Gottesbildes durfte sich durch das von Christus eingeleitete Neue Testament weiterentwickeln. Die Freiheit des Einzelnen, Gnade und Liebe hielten auf Dynamiesunserem Erlösungsweg Einzug in die Welt.

Die Dynamies (griechisch: Δυνάμεις) bilden die zweite Untergruppe im zweiten Engelchor und werden auch die Geister der Bewegung genannt. Im Universum ist jede Kraft nur mit einem dahinter stehenden wirklichem Geistigen Wesen vorstellbar. Ja: Materialisten sehen das naturgemäß ganz anders, und genau darum unterscheiden sie sich ja auch bewusst und willentlich vom spirituell denkenden Menschen. Der freie Wille zeigt sich eben auch hier in seiner göttlichen Weisheit: Es mag notwendige Erfahrungen geben, wo eben genau dieser Materialismus das Licht der Wahrheit nur noch deutlicher sichtbar werden lässt.

Kyriotites oder HerrschaftenDie Kyriotites (griechisch: Κυριότητες) schließen den zweiten Engelchor der Mächte ab. Vorstellbar sind sie auch als Geister der Weisheit oder, wie Luther sie nannte: die Herrschaften. Man darf sich auch erinnert fühlen an Sophia, die Göttliche Weisheit. Überhaupt gilt nicht erst ab hier, dass diese hohen, mächtigen und Gott nahe stehenden Engelwesen, Kräfte oder Geister für uns Menschen nur sehr bedingt vorstellbar und somit unterscheidbar sind. Auf dem Wege der Menschheit durch die Zeit und seiner damit einhergehenden zunehmenden Annäherung an die Wahrheit werden diese Kräfte für den Einzelnen jedoch mehr und mehr erfahrbar sein. Auf dieser Ikone tragen die Kyriotites ein Tuch mit dem Leib Christi durch die Szenerie, denn erst durch das Opfer Jesus-Christus am Kreuz, wurde der Menschheit der Weg zu Gott und zum ewigen Leben wieder ermöglicht.

ThroneDer letzte und höchste Engelchor wird als Herrschaften bezeichnet (nicht zu verwechseln mit den Kyriotites des zweiten Chores). Hier tummeln sich die allerhöchsten göttlichen Wesenheiten in einer für uns unvorstellbaren Weise. Sie allein sind befähigt, in der reinen, göttlichen, Energie zu verweilen und zu wirken.

Die Throne (griechisch: Θρόνοι) stellen die erste Untergruppe dar. An mancher Stelle wird diese Bezeichnung auch mit “geflügelte Wagenräder” übersetzt. Auf Fresken werden sie meist in Form von ineinander verschlungenen, vielgeflügelten Wagenrädern mit vieltausend Augen dargestellt. Auf diese Weise soll die scder Altarhnelle Wahrnehmung und Beweglichkeit dieser Göttlichen Geisteswesen in jede (uns nicht einmal im Ansatz vorstellbare) Richtung und Perspektive ausgedrückt werden. Eine Wiederholung dessen ist im Mittelteil der Ikone zu finden. Hier “umspielen” zwei Ringe mit geflügelten Wesen den Altar, hinter dem Gott-Vater und Gott-Sohn sitzen.

Cherubim Die letzten beiden Gruppen des dritten Engelchores sind die Cherubim und Seraphim. Auf Fresken werden diese Wesenheiten als kaum voneinander unterscheidbare Engel mit sechs Flügeln dargestellt. Auf unserer Ikone jedoch sind beide Gruppen gesondert abgebildet. Die Cherubim versteht z.B. Rudolf Steiner in seinen spirituellen Betrachtungen als Geister der Harmonie und deren Gesetzen, die es dazu bedarf. In der orthodoxen Christenwelt werden die Cherubim als auch die Seraphim uns als Engelwesen gezeigt, welche fortwährend um den Thron Gottes fliegen und dabei “Heilig!, Heilig!, Heilig!” intonieren. Sie erhalten und bewahren damit die allerhöchsten Schwingungen der von Gott ausgehenden Energien. Auf der vorliegenden Ikone umgeben diese Wesen also auch die Heilige Dreifaltigkeit Gottes in Form von vielen, gestaltlosen Engelwesen.

SeraphimKommen wir mit unseren Betrachtungen zur letzten Gruppe, den eben schon erwähnten Seraphim (griechisch: Σεραφείμ), den Geistern der Liebe, der reinsten, selbstlosesten und heilendsten Energie im Universum, so könnte man es verstehen. Die Seraphim stehen im Angesicht Gottes und auch auf unserer Ikone Gott-Vater genau gegenüber. Es ist genau diese reine Liebe, die Christus gekommen ist, auf der Welt zu verbreiten, und darum ist es nicht verwunderlich, dass diese sechsgeflügelten Wesen (griechisch: Εξαπτέρυγα), genau über Adam und Eva, stellvertretend für die Menschen platziert wurden. In ihren Händen schwingen sie an goldenen Ketten hängende Weihrauchschalen und verteilen auf diese anschauliche Weise die feingeistige Botschaft und die Energien Gottes mittels eines feinen Duftes unter die Menschen. Alles ist Schwingung, alles ist beseelt, welch herrliche Ausdruckskraft immer währender Wahrheit steckt in dieser äußert aufwendigen Ikone!

Der Duft der Heiligen Liturgie wird ihnen auch heute noch, liebe Leserin und lieber Leser, von dem Popen oder Priester im Gottesdienst zugefächert, denn unsere Gottesfeier ist die Heilige Liturgie - die Gläubigen am Boden auf der Erde, und am höchsten Punkt des Kirchenhimmels die Engelchöre, welche uns beistehen und unserem Ritual beiwohnen.

Mit dieser Untersuchung wird eines klar: Ikonen kann man nicht einfach “abmalen”, sondern man muss sie vorher studieren, um ihre Bedeutung zu erfassen. Dabei hilft mir besonders die griechische Literatur, in der, neben der Abbildung, auch eine genaue Beschreibung der Ikone zu lesen ist. Im Gegensatz zu westlicher Ikonenbetrachtung, die sehr intellektuell daher kommt und die Ikone eher aus kunsthistorischer Sicht betrachtet und beschreibt, ist die östliche Ikonenschau stets eine sehr konkrete, auf die betreffende Ikone abgestimmte Beschreibung, die sehr genau auf jedes dargestellte Detail eingeht.
In meiner Beschreibung finden Sie eine Mischung aus beidem und mehr vor, da ich westlich logisch-rational geprägt bin, auf meiner Suche nach Spiritualität aber vielen Schulen, Denkern, Propheten und weisen Menschen begegnet bin,  und Ikonen zuallererst jedoch östlich irrational, also mit einer geistigen Schau lieben gelernt habe.

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